Ministeriumsmitarbeiterin Julia Kovalskaja, Major Sergii Dyneko, Kabinettsminister Oleh Nemchinov, Fedir Yefymenko (BWA Kiew), Thomas Sapper (BWA Deutschland) und Karl-Heinz Seeger (GEWOBAU Bad Kreuznach).
Foto: Gewobau Bad Kreuznach
Wissenstransfer von Bad Kreuznach nach Kiew
FUTUREhaus und GEWOBAU besuchen die Ukraine und legen Grundlagen für ein Bauprojekt für Krim-Vertriebene
Es ist schon eine Hausnummer, wenn der Präsident der Ukraine zwei Experten des Wohnungsbaus aus Bad Kreuznach persönlich kennenlernen möchte. Wolodymyr Selenskyjs Wunsch wurde dann doch wegen einer kurzfristigen Terminverschiebung rund um den Besuch der Bundeskanzlerin nicht erfüllt, dennoch konnten Thomas Sapper und Karl-Heinz Seeger bei einem Besuch in der Hauptstadt Kiew die Grundlagen für ein bedeutsames Projekt legen. Sapper und Seeger trafen auf Vertreter und Vertreterinnen des Ministerkabinetts der Ukraine. Im Regierungspalast wurde in einem feierlichen Akt eine Kooperationsvereinbarung unterschrieben. Kabinettsminister Oleh Nemchinov und General-Major Sergii Dyneko, Vorsitzender des Staatlichen Grenzschutzdienst der Ukraine und Generalgrenzschutzbevollmächtigter, waren zugegen. Es geht um ein Bauprojekt speziell für Militärangehörige, Geflüchtete und Bewohner, die von der besetzten Halbinsel Krim vertrieben wurden. Die Bundesregierung hatte hierfür Fördergelder zugesagt, wenn die Ukraine sich an europäischen Standards orientiert.
Europäisches Netzwerk für bezahlbares Wohnen
Doch zurück auf Anfang: Bereits seit den 90er Jahren pflegt Thomas Sapper, Geschäftsführer der in Bad Kreuznach ansässigen FUTUREhaus und Präsident des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA), Kontakte zu hohen politischen Stellen in der Ukraine. Sappers Metier ist das nachhaltige, energieeffiziente Bauen, was sich mit der Philosophie des Verbands, aber auch der Bad Kreuznacher Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAU deckt. FUTUREhaus und GEWOBAU realisieren ein gemeinsames Projekt in im Südosten Bad Kreuznachs. Im Neubaugebiet „In den Weingärten“ ist das Solar Quartier als zukunftsweisendes, energieeffizientes Wohnmodell im Entstehen.
GEWOBAU-Geschäftsführer Karl-Heinz Seeger wiederum arbeitet unter anderem in der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) des Gesamtverbands der Wohnungswirtschaft (GdW) und im Verbandsrat des Verbands der Wohnungswirtschaft Rheinland-Westfalen (VdW). Gemeinsam ist Sapper und Seeger die Schnittmenge nachhaltigen Bauens unter Berücksichtigung der Prämisse, langfristig „bezahlbar“ wohnen zu können. Dazu setzen sich beide Geschäftsführer in ihren Organisationen für eine Vernetzung nachhaltiger Strukturen ein.
Nachhaltige Architektur und europäische Standards
Nun kam die Anfrage aus der Ukraine, auf institutioneller Ebene eine Partnerschaft zu gründen. „Es geht um Wissenstransfer und Best-practise-Beispiele“, erläutert Seeger im Nachgang des Treffens. Seine Eindrücke von Land und Leuten, aber auch der vorherrschenden Architektur und Infrastruktur schildert Seeger gegenüber dieser Zeitung. „Die Standards in der Ukraine sind natürlich russisch geprägt“, so Seeger. Bildprägend seien große Wohnblocks mit geringer Ausprägung dessen, was Nachhaltigkeit oder gar Wohnkomfort anbelangt. „Die Ukraine selbst hat aber, weil europäisch orientiert, ein großes Interesse daran, die Standards zu verändern.“, ergänzt Thomas Sapper. Man wolle weg von einer schmutzigen, stark Kohlendioxyd-lastigen und „fossil“ ausgeprägten Wirtschaft hin zu einer „grüneren“ Wirtschaft. „Die Ukraine war früher die Kornkammer Russlands und ist heute in den Bereichen Landwirtschaft ganz vorne dabei. Hier müssen die Standards europäisch ausgerichtet werden“, sagt Sapper. Mit der Bauweise von FUTUREhaus, die ihre Produktionsstätten an die Stätten der Realisierung heranführt, könnten nachhaltige Gebäude in Größenordnungen von sechsstöckigen Gebäude jederzeit mit regionalen Produktionsstätten, mit regionalen Baustoffen und regionalen Fachkräften umgesetzt werden. Zum Beispiel sei Holz dank der großen Waldbestände der Ukraine keine Mangelware, wenngleich ein Exportstopp wegen der hohen Nachfrage im Bausektor erlassen wurde. Der Holzspanstein wird von der FUTUREhaus als günstig herzustellender, leichter und luftdurchlässiger Baustoff favorisiert.
Auch in der Architektur könne eine ansprechende, aber für die Region mögliche und akzeptierte Bebauung entstehen, ohne auf die Plattenbauweise der 60er Jahre zurückzugreifen. Wichtig seien unter anderem hitzeresiliente Systeme mit Pflanzen für die Beschattung und Klimatisierung der Räume. „Photovoltaik, nachhaltige Baustoffe und Baukonzepte werden für die Ukraine mittel- und langfristig wichtige Faktoren werden“, schätzt Sapper.
Finanzielle Infrastruktur für die Staatsentwicklung
Karl-Heinz Seeger sieht noch einen weiteren wichtigen Faktor, der sich als „Exportschlager aus Deutschland“ entwickeln könnte: „Es geht auch um das Know-how der finanziellen Infrastruktur“, sagt Seeger, der sich ebenfalls im BWA engagiert. Wie funktioniert das System der KfW-geförderten Kredite? Welche Förderinfrastruktur gibt es noch? „Hier geht es weniger um kommunale, denn um Staatsentwicklung“, verdeutlicht Seeger, der sich sehr geschätzt fühlt, als Geschäftsführer einer kleinen Wohnungsbaugesellschaft Teil dieser europäischen Kooperation sein zu dürfen.
Seeger reiste übrigens während seines Urlaubs zu diesem Treffen, die Kosten für Flug und Hotel wurden vom Verband und dem ukrainischen Ministerium übernommen. Von der dreitägigen Reise behält Seeger neben den gut vorbereiteten Gesprächen vor allem die wunderschöne Flusslandschaft des Dnjepr, die Gastfreundlichkeit der Ukrainer und die hohe Professionalität und Entscheidungsfreude der Politiker in Erinnerung. Seeger freut sich darauf, schon bald selbst Gastgeber zu sein: Eine Delegation aus Kiew wird am 10. September in Bad Kreuznach erwartet – unter anderem ist eine Besichtigung im „Solar Quartier“ geplant, aber es wird auch um alternative Technologien und Antriebe wie Wasserstoff gehen. Präsident Selenskyj habe angekündigt, beim nächsten Besuch der Bad Kreuznacher in Kiew dabei sein zu wollen.
Weitere Schritte
In einem nächsten Schritt ist eine Videokonferenz mit allen Teilnehmern geplant, um die Punkte der Zusammenarbeit und die abzuarbeitenden Meilensteine festzulegen. Im weiteren Verlauf sollen ukrainische Bürger nach Deutschland eingeladen werden, um diese im System der FUTUREhaus Bauteile fit zu machen und zu schulen, wie „Hausbau vor Ort“ funktioniert und auch der Innenausbau mit allen technischen Abhängigkeiten. Ziel der Kooperation ist, wie im Protokoll des Auftakttreffens in Kiew festgeschrieben, der Know-how- Transfer aus Bad Kreuznach nach Kiew, um eine nachhaltige Baupolitik in der Ukraine umsetzen zu können.
Beeindruckende Architektur, beeindruckende Landschaft, große Gastfreundschaft: GEWOBAU-Geschäftsführer Karl-Heinz Seegers Momentaufnahmen von Kiew.